„Rastlos suchend, voller Unabhängigkeit und Einfallsreichtum“

Die Salzburger Festspiele zeigten ihre enge Verbundenheit mit der Musik von György Ligeti im Sommer 2023 in ihrer Konzertreihe Zeit mit Ligeti. Tabea Zimmermann und Pierre-Laurent Aimard gestalteten die Reihe maßgeblich mit und sprachen im Vorfeld über ihre eigene Beziehung zu dem Komponisten. 

Die List der Werke des Komponisten, die bei den Salzburger Festspielen im Laufe der Jahrzehnte zur Aufführung kamen, ist beeindruckend. Angefangen von Artikulation im Jahr 1958 über die Uraufführung der überarbeiteten Neufassung der Oper Le Grand Macabre durch Esa-Pekka Salonen und Peter Sellars im Jahr 1997 hin zu Orchester- und Kammerkonzerten in den letzten Jahren war die Musik des Komponisten stets in Salzburg präsent - und mit ihr auch die großen Interpretinnen und Interpreten seiner Musik. Dazu zählen zweifellos die Bratschistin Tabea Zimmermann und der Pianist Pierre-Laurent Aimard, denen György Ligeti Uraufführungen seiner Werke anvertraut hat.

Wir veröffentlichen das Gespräch mit freundlicher Genehmigung der Salzburger Festspiele.


Frau Zimmermann, Herr Aimard, Sie treten beide schon seit Jahrzehnten regelmäßig bei den Salzburger Festspielen auf. Was verbinden Sie mit Salzburg?

Tabea Zimmermann: Zu Salzburg habe ich seit meinem kurzen, aber intensiven Studium bei Sandor Végh 1985/86 ein besonderes Verhältnis.

Pierre-Laurent Aimard: Als erstes denke ich an die Stadt selber, an unvergessliche Vorstellungen und seit Jahrzehnten spezifische Konzertprogramme bei den Salzburger Festspielen, einst erdacht von Hans Landesmann und Gerard Mortier, heute von Markus Hinterhäuser und Florian Wiegand.

Können Sie beide sich noch an Ihre erste Begegnung mit der Musik Ligetis erinnern?

TZ: Ligetis Musik und seine Beschäftigung mit Patterns und Formen habe ich über meinen verstorbenen Mann David Shallon kennengelernt. Faszinierend finde ich bis heute das Thema Mensch und Maschine. So z.B. der Einfluss der Player Piano Rolls von Nancarrow auf Ligetis Études.

PLA: Zum ersten Mal habe ich seine Musik im Alter von acht oder neun Jahren gehört in einem Konzert in Lyon. Als Interpret begegnete ich ihm erst später, als Mitglied des „Ensemble Intercontemporain“ als ich sein „Kammerkonzert“ spielte, das immer wieder neu fasziniert.

Sie beide haben György Ligeti auch persönlich gut gekannt. Wie würden Sie ihn als Menschen, wie als Künstler charakterisieren?

TZ: Auffällig fand ich das Feuer, das in ihm brannte. Er wirkte auf mich rastlos suchend, sich und die Menschen um ihn herum nicht schonend.

PLA: Er verkörperte für mich große Unabhängigkeit und Einfallsreichtum. Seine breitgefächerte Bildung war genauso originär wie er als Mensch selbst. Er hatte den Mut, seinen Überzeugungen zu folgen. Seine Ansprüche waren gefürchtet, galten aber vor allem für ihn selbst und seinem Handwerk, das er in den Dienst seiner überbordenden Fantasie stellte. Er war geprägt von persönlichen Tragödien, denen er seinen starken Sinn für Humor und für das Absurde entgegenstellt.

Sie haben Ihnen gewidmete Werke Ligetis uraufgeführt und auch mit ihm zusammen erarbeitet. Kommt es vor, dass Musikerinnen und Musiker Sie im Hinblick auf die Interpretation seiner Stücke um Rat fragen?

TZ: Seine Notation ist eigentlich so klar, dass es nicht direkt zu Fragen des Verständnisses kommt. Dies ist eine große Qualität seiner Schreibweise. Ich kann mir vorstellen, dass es als Komponist unheimlich schwer ist, das eigene Werk loszulassen und den Interpreten anzuvertrauen. In diesem Sinne ist es als Interpretin manchmal schwer, dem Komponisten gegenüberzustehen und die Forderung bzw. die klare Vorstellung zu spüren, aber das eigene Unvermögen als Bremsfaktor zu erleben. Als Künstlerin bin ich an solchen Prozessen wahrscheinlich am allermeisten gewachsen.

Sie unterrichten an namhaften Hochschulen. Ist es Ihnen ein Anliegen, die Studierenden mit Ligetis Musik in Kontakt zu bringen und Ihre Erfahrungen aus erster Hand weiterzugeben?

TZ: Selbstverständlich gebe ich mein Wissen und meine Erfahrungen so gut es geht an die jungen Menschen weiter. Dabei geht es mir allerdings weniger um eine Tradition der Aufführung als um eine Ermutigung, sich möglichst angstfrei verschiedenen Schulen, Klängen, Gedanken auszusetzen und zu experimentieren. Ich lerne genauso von den jungen Menschen wie sie von mir. Ich finde es faszinierend, wie sich ein kollektives Musik- und Kulturbewusstsein entwickeln kann, wie Gedanken sich über Generationen hinweg entwickeln können und gewissermaßen unabhängig von Ort und Zeit eine Weiterentwicklung durchlaufen. Beispielsweise sagte Ligeti nach Fertigstellung seines dritten Satzes der Solosonate: „Ich habe eine Idee für ein Scherzo, aber ich kann es nicht schreiben, Hindemith hat es schon komponiert!“ Dabei bezog er sich auf den vierten Satz aus der Solosonate op.25/1.

PLA: Wenn man die Interpretationsratschläge eines Kunstschaffenden erhalten hat, trägt man natürlich die Verantwortung, die Informationen, die man bekommen hat, an die nächste Generation weiterzugeben. Es freut mich, wenn Studierende Werke von Ligeti nicht nur mit den notwendigen technischen Fähigkeiten, sondern auch mit der entsprechenden stilistischen Kenntnis interpretieren. Um diese Weitergabe zu vertiefen, war ich an der Entwicklung einer Online-Wissensplattform beteiligt, die Ligetis Musik gewidmet ist.

Generell sind Sie schon früh mit zeitgenössischer Musik in Berührung gekommen. Wie hat sich dieses Interesse entwickelt?

TZ: Zum einen aus der Not heraus (lacht). Als Bratschistin hatte ich früh damit zu kämpfen, dass es für mein Instrument recht wenig erstklassige Originalliteratur gibt. Ich habe es früh als Chance erkannt, mich nicht an einem Kanon der großen Violinkonzerte messen und abarbeiten zu müssen, sondern durch das Erlernen von neuen Werken viel näher am Prozess des Komponierens teilhaben und davon lernen zu können. Faszinierend finde ich den Blick bzw. das akustische Pendant dazu auf den Prozess, Klang im Moment zu gestalten, zu entwickeln, nachkomponierend zu spielen. Diese Haltung hat meine Interpretation auch von älteren Werken des Repertoires vollständig verändert. Es erfüllt mich mit Freude, wenn ich meine Hörer:innen daran teilhaben lassen kann, wie wir gemeinsam die Gedanken und Klänge der Komponist:innen wie zum ersten Mal erleben können. Dafür braucht es auch von Hörerseite eine spielerische Offenheit, ein angstfreies Entdecken-Wollen, kein Beurteilen-Müssen.

PLA: Schon mein erster Musikprofessor hat mich an ein breites musikalisches Spektrum herangeführt, das natürlich viel Neue Musik beinhaltet hat. Durch den Kontakt zu Komponisten, die einen einzigartigen Blick auf die Welt haben und dadurch unsere eigene Kreativität herausfordern

Eine extra Frage noch an Sie Frau Zimmermann: Sie spielen bei den diesjährigen Festspielen Ligetis Sonate für Viola solo. Die Ecksätze sind Ihnen gewidmet, Sie haben das Werk 1994 erstmals vollständig aufgeführt. Hat sich Ihre Sicht darauf seither verändert, und wenn ja, wie?

TZ: Mit der Solosonate habe ich einige Phasen meiner künstlerischen Entwicklung durchlaufen, die sich sicher auch in der Interpretation haben beobachten lassen. Vor der Uraufführung stand die technische Bewältigung der sechs sehr unterschiedlich herausfordernden Sätze im Vordergrund. Nach einiger Zeit erst durchlitt ich verschiedene Angstphasen, wollte es Ligeti recht machen, war aber noch nicht an dem Punkt angekommen, wo ich mir selbst all das zutrauen konnte, was er von mir forderte und wünschte. Ich habe die Solosonate auch mehrfach reifen lassen, habe sie meinem Unterbewusstsein anvertraut, habe mit Studierenden an vielen Einzelproblemen gearbeitet und konnte die Musik dann eher von außen betrachten, etwas losgelöst von meinen eigenen Schwierigkeiten. Dies hat mir sehr geholfen, einen neuen Zugang zu finden und mich den Themen der Sonate wieder mit neuer Lust zu nähern.

Mehr Informationen zur Konzertreihe Zeit mit Ligeti

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