Vokalensemble
I-IV: Berlin · Berliner Festwochen · The King's Singers
28.10.1989
V: London · Queen Elisabeth Hall · The King's Singers
27.11.1993
VI: Huddersfield · Huddersfield Festival 1993 · The King's Singers
I Two Dreams and Little Bat (William Brighty Rands/Lewis Carroll)
II Cuckoo in the Pear-Tree (William Brighty Rands)
III The Alphabet
IV Flying Robert (Heinrich Hoffmann)
V The Lobster Quadrille (Lewis Carroll)
VI A Long, Sad Tale (Lewis Carroll)
Seit meiner frühesten Jugend war ich von Lewis Carroll fasziniert. Alice hatte ich zunächst in der Übersetzung des wunderbaren ungarischen Satirikers Frigyes Karinthy kennengelernt, der Swift ein bisschen ähnlich ist. Später, als ich einigermaßen Englisch konnte, verfiel ich Lewis Carroll geradezu und lernte durch ihn auch andere viktorianische Dichter wie Edward Lear und William Brighty Rands besser kennen. Natürlich weiß ich, dass einem Kontinentaleuropäer wie mir die letzten Feinheiten des britischen Understatements und Humors für immer verschlossen bleiben, aber ich konnte der Versuchung einfach nicht widerstehen, es doch wenigstens einmal damit zu versuchen.
Das hervorstechende Charakteristikum meiner Kompositionstechnik in diesen Stücken ist – und dies könnte dem Hörer zunächst einige Schwierigkeiten bereiten – die rhythmische Komplexität. Meine Technik besteht darin, zwei sehr unterschiedliche polyphone Traditionen miteinander zu verbinden: einerseits die Mensuralnotation des 14. Jahrhunderts und andererseits die afrikanische Polyrhythmik. Dank dieser beiden Techniken ist es möglich, mehrere Melodielinien in verschiedenen Tempi zu kombinieren. Wo die Mensuralnotation die Unterteilung eines Notenwerts in zwei oder drei Einheiten erlaubt, habe ich die Unterteilung in fünf oder sieben Einheiten eingeführt. Ähnlich sind bei den afrikanischen Rhythmen eigentlich nur strikte periodische Gruppierungen möglich, während ich verschiedene unregelmäßige Zeitproportionen verwende.
Diese rhythmische Komplexität ist jedoch nicht Selbstzweck, denn Melodie, Harmonie, Rhythmus und vor allem die Gleichzeitigkeit mehrerer melodischer Linien sind Mittel, um einen Gefühlsinhalt auszudrücken. Gleichwohl wird nicht eigentlich der Sinn der Texte ausgedrückt, vielmehr ihr dichterisches Umfeld. So kann man diese Madrigale als rein technische, virtuose Konstruktionen anhören oder als ausdrucksgeladene Botschaften. Beides ist Nonsens.
Original in englischer Sprache, geschrieben am 16. September 1988. Deutsche Erstveröffentlichung, als Einführungstext zur deutschen Erstaufführung des gesamten Zyklus der Nonsense Madrigals am 21. April 1994 in Gütersloh, im Programmheft zu »Gütersloh ’94 : Musikfest für György Ligeti«, 16.–24. April 1994, S. 6.
Abdruck aus: György Ligeti, Gesammelte Schriften (Veröffentlichungen der Paul Sacher Stiftung, Bd. 10), hrsg. von Monika Lichtenfeld, Mainz: Schott Music 2007, Bd. 2, S. 301-302. © Paul Sacher Stiftung, Basel und Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz, Bestellnummer: PSB 1014