Konzert

Titel
Konzert
für Klavier und Orchester
Category
Orchester mit Solist(en)
mit Klavier
Dauer
22:00
Anzahl Mitwirkende
40
Besetzung
1 (auch Picc.) · 1 · 1 (auch Alt-Okarina in G) · 1 – 1 · 1 · 1 · 0 – S. (Trgl. · 2 Crot. · 2 hg. Bck., klein u. normal groß · 4 Woodbl. · 5 Tempelbl. · Schellentr. · kl. Tr. · 3 Rototoms · 4 Tomt. · gr. Tr. · Guero · Kast. · Peitsche · Sirenenpfeife · Trillerpfeife · Lotosfl. · Flex. · Chromonica in C 270 [Hohner] · Glsp. · Xyl.) (1-2 Spieler) – Str. (8 · 7 · 6 · 5 · 4; auch solistische Streicherbesetzung 1 · 1 · 1 · 1 · 1 möglich)
Entstehung
1985
Uraufführung
1986-10-23

1. - 3. Satz : Graz · Steirischer Herbst · Anthony di Bonaventura, Klavier · Mitglieder der Wiener Philharmoniker · Dir.: Mario di Bonaventura
29.02.1988
4. und 5. Satz : Wien · Anthony di Bonaventura, Klavier · ORF-Symphonieorchester · Dir.: Mario di Bonaventura

Satzangaben

I Vivace molto ritmico e preciso
II Lento e deserto
III Vivace cantabile
IV Allegro risoluto, molto ritmico
V Presto luminoso

Audio
Copyright

György Ligeti: The Ligeti Project © 2016 Warner Classics 0825646028580

Kommentare des Komponisten zum Werk

Ich habe das Klavierkonzert in zwei Arbeitsgängen komponiert: die ersten drei Sätze 1985–86, die letzten zwei 1987, wobei der Schluss-Satz in Reinschrift Mitte Januar 1988 beendet wurde. Das Konzert ist dem amerikanischen Dirigenten Mario di Bonaventura gewidmet. Es hat die Satzbezeichnungen 1. »Vivace molto ritmico e preciso«, 2. »Lento e deserto«, 3. »Vivace cantabile«, 4. »Allegro risoluto«, 5. »Presto luminoso«.

Die Uraufführung des Konzerts in der dreisätzigen Fassung fand am 23. Oktober 1986 in Graz statt. Der Dirigent war Mario di Bonaventura, der Solist sein Bruder Anthony di Bonaventura. Beim zweimaligen Hören wurde mir klar, dass der dritte Satz kein richtiger Schluss-Satz ist, dass mein Formgefühl nach einer Fortsetzung, einer Komplettierung der Großform verlangte. So kam es zur Komposition der weiteren beiden Sätze. Die Uraufführung des vollständigen Konzerts fand am 29. Februar 1988 im Wiener Konzerthaus mit demselben Dirigenten und Pianisten statt.

Die Orchesterbesetzung ist die folgende: je eine Flöte, Oboe und Klarinette, ein Fagott, ein Horn, eine Trompete, eine Tenorposaune, Schlagzeug und Streicher. Der Flötist spielt auch Piccoloflöte, der Klarinettist auch Alt-Okarina. Das Schlagzeug umfasst ein vielfältiges Instrumentarium, das von einem einzigen virtuosen Spieler gemeistert werden kann. Praktischer ist es aber, wenn zwei (eventuell drei) Spieler die Instrumente unter sich aufteilen. Außer Schlagzeug im eigentlichen Sinn spielen sie auch zwei einfachere Blasinstrumente: Lotosflöte und chromatische Mundharmonika. Die Streicherstimmen – zwei Geigen, eine Bratsche, ein Cello und ein Kontrabass – können solistisch ausgeführt werden, da die Stimmen keine divisi aufweisen. Günstiger für die Balance ist jedoch eine chorische Besetzung, mit etwa je sechs ersten und zweiten Geigen, je vier Bratschen und Celli und drei Kontrabässen.

Im Klavierkonzert habe ich neue harmonische und rhythmische Konzeptionen verwirklicht. Der erste Satz ist durchgehend bimetrisch – 12/8 und 4/4 (8/8) simultan – notiert. Das entspricht der bekannten Notation »Triole gegen Duole« und ist an sich nichts Neues. Da ich aber die zwölf triolischen und acht duolischen Pulse rhythmisch verschieden artikuliere, entsteht eine vertrackte, in dieser Form zuvor nicht gehörte Polymetrie. Kompliziert wird das rhythmische Bild überdies durch asymmetrische Gruppierungen innerhalb der beiden Geschwindigkeitsschichten, das heißt durch asymmetrisch verteilte Akzente. Diese Gruppierungen haben taleaartig fixierte, ständig repetierte rhythmische Strukturen, und zwar verschieden lange in der 12/8- und der 4/4-Geschwindigkeitsschicht. Das bedeutet, dass die repetierten Patterns in den beiden Schichten nicht zusammenfallen und kaleidoskopartig stets neue Kombinationen ergeben.

In unserer Wahrnehmung geben wir bald auf, die einzelnen rhythmischen Sukzessionen zu verfolgen, denn das zeitliche Geschehen erscheint uns als etwas Statisches, in sich Ruhendes. Wenn diese Musik richtig gespielt wird, also in richtiger Geschwindigkeit und mit richtiger Akzentuierung innerhalb der einzelnen Schichten, wird sie nach einer gewissen Zeit »abheben« wie ein Flugzeug nach dem Start: Das rhythmische Geschehen, da zu komplex um im Einzelnen verfolgt zu werden, geht in ein Schweben über. Dieses Aufgehen von Einzelstrukturen in einer anders gearteten Globalstruktur ist eine meiner kompositorischen Grundvorstellungen. Seit Ende der fünfziger Jahre, also seit der Komposition der Orchesterstücke Apparitions und Atmosphères, suche ich immer neue Lösungen, um diese Grundidee zu realisieren.

Die Harmonik des ersten Satzes basiert auf Mixturen, also auf der Parallelführung von Stimmen. Diese Technik ist hier eher in einfacher Form gehandhabt, wird dann aber im vierten Satz weitergehend entwickelt.

Der zweite Satz – der einzige langsame unter den fünf Sätzen – hat ebenfalls eine festgefügte Taleastruktur, ist aber rhythmisch sehr viel einfacher, da er nur eine Geschwindigkeitsschicht aufweist. Die Melodik basiert auf der Entfaltung eines streng gehandhabten intervallischen Modus, der aus dem Alternieren zweier kleiner Sekunden mit einer großen Sekunde, also aus neun Tönen innerhalb der Oktave, besteht. Dieser Modus wird auf verschiedene Stufen transponiert und bestimmt außer der Melodik auch die Harmonik des Satzes, bis auf den Schlussabschnitt, in dem das Orchester weiterhin im neuntönigen Modus spielt, während im Klavier eine Kombination von Diatonik (weiße Tasten) und Pentatonik (schwarze Tasten) erscheint, geführt in schillernden und schimmernden Quasi-Mixturen. In diesem Satz habe ich verfremdete Klangfarben und extreme Register verwendet: Piccolo in sehr tiefer, Fagott in sehr hoher Lage, Kanons der Lotosflöte, der Alt-Okarina und der Blechbläser (mit »harmonmute« gespielt), ferner »schneidende« Klangkombinationen von Piccolo, Klarinette und Oboe in extrem hoher Lage, sowie abwechselnd Sirenenpfeife und Xylophon.

Der dritte Satz hat ebenfalls nur eine Geschwindigkeitsschicht und ist daher im Grunde genommen rhythmisch einfacher als der erste, doch dafür ist hier das rhythmische Geschehen auf andere Weise sehr komplex. Über dem durchgehend schnellen und gleichmäßigen Grundpuls erscheinen durch entsprechende asymmetrische Akzentverteilungen verschiedene Arten von Hemiolen und »inhärente melodische Patterns« (dieser Begriff wurde von Gerhard Kubik in Bezug auf subsaharische afrikanische Musik geprägt). Wenn er in richtiger Geschwindigkeit und mit sehr deutlicher Akzentuierung gespielt wird, erscheinen in diesem Satz illusionistische rhythmisch-melodische Gestalten. Diese Gestalten werden nicht direkt gespielt, sie kommen in den einzelnen Stimmen real nicht vor, entstehen vielmehr aus dem Zusammenwirken verschiedener Stimmen erst in unserer Wahrnehmung. Schon früher habe ich viel mit Illusionsrhythmik experimentiert, so in Poème Symphonique für hundert Metronome (1962), in Continuum für Cembalo (1968), in Monument für zwei Klaviere (1976) und vor allem in meiner ersten und sechsten Klavieretüde Désordre und Automne à Varsovie (beide 1985). Dieser dritte Satz des Klavierkonzerts ist das bislang prägnanteste Beispiel für Illusionsrhythmik und Illusionsmelodik.

In der Intervallik und Harmonik basiert dieser Satz auf dem Alternieren und Ineinanderwachsen von verschiedenen modalen und quasi-äquidistantialen harmonischen Räumen. Die temperierte Zwölfteilung der Oktave erlaubt diatonische und andere modale Intervallsukzessionen, die alle nicht äquidistantial sind, sondern aus dem Alternieren von großen und kleinen Sekunden in verschiedenen Gruppierungen bestehen. Die Temperatur erlaubt auch die Verwendung von anhemitonischer Pentatonik (entsprechend den schwarzen Tasten des Klaviers). An äquidistantialen Skalen – also intervallischen Bildungen, die auf einer Oktavteilung in gleichen Abständen beruhen – erlaubt die Zwölftontemperatur nur die Chromatik (lauter kleine Sekunden) und die Sechston- oder Ganztonskala (lauter große Sekunden). Ferner ist die Vierteilung der Oktave (in vier kleine Terzen) und die Dreiteilung (in drei große Terzen) möglich. In vielen Musikkulturen sind jedoch andere äquidistantiale Oktavteilungen üblich, so im javanischen Slendro Fünf- und in Melanesien Siebenteilungen, die auch sonst in Südostasien und, davon unabhängig, in der südlichen Hälfte Afrikas verbreitet sind. Es handelt sich dabei nicht um genaue Äquidistantialität – es gibt eine gewisse Toleranz für Stimmungsabweichungen der Intervalle.

Diese für uns Europäer so fremdartige Harmonik und Melodik hat mich seit Jahren außerordentlich fasziniert. Ich wollte das Klavier jedoch nicht umstimmen (mikrotonale Abweichungen gibt es im Klavierkonzert nur in der Horn- und Posaunenstimme, die an einigen Stellen in Naturtönen geführt sind). Nach einigem Experimentieren stieß ich auf eine pseudo- oder quasi-äquidistantiale Intervallik, die weder ganztönig noch chromatisch ist. In der Zwölftönigkeit sind zwei Ganztonskalen möglich, die um eine kleine Sekunde gegeneinander verschoben sind. Diese beiden Skalen (oder Tonvorräte) habe ich nun miteinander kombiniert. So gibt es zum Beispiel Passagen, in denen die Klaviermelodik und -figuration aus beiden Ganztonskalen gebildet ist, wobei die eine Hand den einen, die andere den komplementären Sechstonvorrat verwendet. Auf diese Weise heben sich Ganztönigkeit und Chromatik gegenseitig auf. Es entsteht eine Art verfremdeter Äquidistantialität, merkwürdig schillernd und gleichsam »schräg« – eine illusionäre Harmonik, die zwar aus der Zwölftontemperatur hervorgeht, ihr jedoch klanglich nicht mehr zugehört. Das Alternieren solch »schräg-äquidistantialer« harmonischer Felder mit modalen und Quintakkord-Feldern, vorwiegend im Klavier, ergänzt durch »quintige« Mixturen im Orchester, gibt diesem Satz eine merkwürdige, schillernd-metallische Färbung, wobei sich das Metallische aus den nichtharmonischen Obertönen ergibt.

Den vierten Satz habe ich als zentralen Satz des Konzerts konzipiert. Seine melodisch-rhythmischen Elemente, gleichsam Keime oder Motivbruchstücke, sind an sich simpel. Der Satz beginnt auch einfach, mit der Sukzession und mit- unter Superposition dieser Elemente in harmonischen Mixturenbildungen. Auch hier entsteht eine kaleidoskopartige Struktur, denn es gibt eine begrenzte Anzahl solcher Elemente, die als Kaleidoskopsteinchen in verschiedener Augmentation und Diminution immer wiederkehren. Im Geheimen, ohne dass man es anfangs hören könnte, waltet aber – zunächst abstrakt bleibend, dann ganz allmählich zum Vorschein kommend – eine komplexe, taleaartige rhythmische Ordnung, die wie im ersten Satz aus der Simultaneität zweier gegeneinander verschobener Geschwindigkeitsschichten entsteht (ebenfalls triolisch und duolisch, doch mit anderen asymmetrischen Strukturen). Ganz allmählich, indem zunächst längere Pausen graduell mit Motivbruchstücken aufgefüllt werden, wird man gewahr, dass man sich inmitten eines rhythmisch-melodischen Strudels befindet: Ohne Tempoveränderung, nur durch zunehmende Dichte des musikalischen Geschehens entsteht eine Rotation im Ablauf der sukzessiven und übereinandergelagerten, augmentierten und diminuierten Motivsplitter, und die Zunahme der Dichte suggeriert Beschleunigung.

Durch die rekursive Struktur des Tonsatzes, des »immer Anderen und doch Gleichen« (all die Motivgebilde sind früheren Motivgebilden ähnlich, ohne dass sich je ein Gebilde genau wiederholen würde, die Gesamtstruktur ist also selbst-ähnlich), entsteht der Eindruck eines riesigen, zusammenhängenden Netzes. Auch die zu Anfang verborgenen rhythmischen Strukturen, die beiden unabhängigen Geschwindigkeitsschichten mit ihren verschiedenen inneren, asymmetrischen Akzentuierungen, treten graduell zutage.

Dieser große selbstähnliche Strudel geht – indirekt – auf musikalische Assoziationen zurück, die sich beim Betrachten von Computerbildern der Julia-Mengen und der Mandelbrot-Menge eingestellt haben. Diese wunderbaren Bilder von fraktalen Gebilden, die die beiden Bremer Wissenschaftler Heinz Otto Peitgen und Peter H. Richter produziert haben, sah ich zum ersten Mal 1984. Seitdem spielen sie eine große Rolle in meiner musikalischen Vorstellung. Nicht dass ich beim Komponieren dieses vierten Satzes mathematische Methoden, iterierte Kalküle verwendet hätte: Ich arbeite zwar mit Konstruktionen, doch sie beruhen nicht auf mathematischen Überlegungen, sondern sind eher »Handwerker-Konstruktionen« (diesbezüglich ist mein Verhältnis zur Mathematik ähnlich wie das des Graphikers Maurits Escher). Es geht eher um intuitive synästhetische Korrespondenzen, nicht auf der Ebene des wissenschaftlichen Denkens, sondern auf der des Poetischen.

Der fünfte, sehr kurze Presto-Satz ist harmonisch sehr einfach, in seiner rhythmischen Struktur aber umso komplizierter: Er beruht auf der Weiterentwicklung der Idee der »inhärenten Patterns« des dritten Satzes. Harmonisch und melodisch dominiert hier dieselbe Quasi-Äquidistantialität, im Wechsel mit harmonischen Feldern, die auf der Teilung des chromatischen Totals in Diatonik und anhemitonische Pentatonik beruhen. Polyrhythmik und Mixturenharmonik erreichen hier ihre größte Dichte. Dabei ist dieser Satz von großer Leichtigkeit und von sehr hellen Klangfarben durchleuchtet – beim ersten Hören scheinbar chaotisch, bei öfterem Hören aus vielen voneinander unabhängigen und doch selbstähnlichen Gestalten bestehend, die einander durchkreuzen.

Mit dem Klavierkonzert lege ich nun mein ästhetisches Credo vor – meine Unabhängigkeit von Kriterien sowohl der tradierten Avantgarde als auch der modischen Postmoderne.

Die mir so wichtigen musikalischen Illusionen sind dabei kein Selbstzweck, vielmehr Grundlage meiner ästhetischen Haltung. Ich bevorzuge musikalische Formen, die weniger prozesshaft, eher objektartig beschaffen sind: Musik als gefrorene Zeit, als Gegenstand im imaginären, in unserer Vorstellung evozierten Raum, als ein Gebilde, das sich zwar real in der verfließenden Zeit entfaltet, doch imaginär in der Gleichzeitigkeit in all seinen Momenten gegenwärtig ist. Die Zeit zu bannen, ihr Vergehen aufzuheben, sie ins Jetzt des Augenblicks einzuschließen, ist primäres Ziel meines Komponierens.

Geschrieben am 20. Februar 1988 als Einführungstext zur Uraufführung der vollständigen Fassung am 29. Februar 1988 in Wien.

Zum Klavierkonzert

Das fünfsätzige Klavierkonzert stammt aus der zweiten Hälfte der achtziger Jahre und ist das Resultat einer stilistischen Umwälzung: Aufgegeben hatte ich inzwischen nicht nur die totale Chromatik (da sie mir historisch verbraucht erschien), sondern auch die Arbeit mit mikropolyphonen Texturen. Nach einer Reihe von »weichen« Musikstücken mit verschwommenen Übergängen und hohem Verschmelzungsgrad der Stimmen und Klangfarben wandte ich mich distinkteren, durchsichtigeren, kristallinen musikalischen Gebilden zu. Markstein dieser stilistischen Wende ist das 1985 komponierte erste Heft meiner Klavieretüden. Das Klavierkonzert schrieb ich unmittelbar danach.

Etüden und Konzert basieren auf einer neuartigen rhythmischen Denkweise. Bis dahin hatte ich Polyrhythmik durch Überlagerung von verschiedenen Geschwindigkeitsschichten erzielt. Die neuen Stücke hingegen haben eine »körnige« rhythmische Struktur: Eine Sukzession gleichmäßiger, schneller Impulse durchzieht zum Beispiel den dritten Satz des Klavierkonzerts, und die einzelnen melodisch-rhythmischen Gestalten ergeben sich aus verschiedenen Gruppierungen der Impulse, das heißt der »Körner«. Der Sachverhalt ist analog zum Verhältnis von »Pixel« und »Bild« am Fernsehschirm: Die Pixel leuchten auf und verlöschen in schneller Sukzession, sie bewegen sich nicht. Das alternierende Aufleuchten und Verlöschen der unbewegten Bildelemente erzeugt jedoch die Illusion von bewegten Bildern – die Bildfläche »lebt«.

Die Idee der Körnigkeit war schon in meinem Poème Symphonique für hundert Metronome von 1962 präsent, doch gab es dort unzählige verschiedene Geschwindigkeiten, das heißt Körner von verschiedener Größe. Zum Schlüsselwerk wurde dann 1968 Continuum für Cembalo. In diesem Stück spielt der Cembalist einen gleichmäßigen rhythmischen Raster, auf dem – gleichsam aufgepfropft – illusionäre Muster erscheinen, die man hört, obwohl sie nicht gespielt werden. Viel später, Anfang der achtziger Jahre, erfuhr ich von der Existenz solcher musikalischen Illusionsgestalten in afrikanischen Musikkulturen: Gerhard Kubik nannte sie »inherent patterns«. Wegen der großen konzeptionellen Nähe von afrikanischer polyrhythmischer Musik und meinen Kompositionen (nach Continuum auch Monument für zwei Klaviere von 1976), die sich damals zufällig herausstellte, habe ich dann ab 1982 begonnen, mehr und mehr afrikanische Musik zu hören – zunächst Simha Aroms Aufnahmen aus Zentralafrika. Später las ich sehr viel über diese Techniken: Artur Simons Buch Musik in Afrika1, mit mehreren Studien von Kubik, wurde für mich die »Bibel«. So erweiterte sich mein Horizont, doch mein Klavierkonzert ist keineswegs folkloristisch – es zeigt lediglich technische Einflüsse.

1Musik in Afrika, hrsg. von Artur Simon, Berlin: Museum für Völkerkunde 1983.

Einführungstext für das Begleitheft zur CD-Edition bei Teldec Classics (The Ligeti Project I, 8573-83953-2), Hamburg 2001.

Abdruck aus: György Ligeti, Gesammelte Schriften (Veröffentlichungen der Paul Sacher Stiftung, Bd. 10), hrsg. von Monika Lichtenfeld, Mainz: Schott Music 2007, Bd. 2, S. 296-301. © Paul Sacher Stiftung, Basel und Schott Music GmbH & Co. KG, Mainz, Bestellnummer: PSB 1014

Verlag